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„Neben dem Geschmack ist eine weitere Dimension in der Tasse – Verantwortung und Transparenz!“
Interview: Anke Schwarzer, 2024
Welche Orte und Räume in Hamburg kommen Ihnen in den Sinn, wenn Sie an die koloniale Geschichte und Gegenwart denken?
Es kommt mir als allererstes die Speicherstadt in den Kopf. Und mittendrin in der Speicherstadt befindet sich die ehemalige Kaffeebörse. Der Kaffeespeicher, der damals auch für die Bewerbung als UNESCO-Weltkulturerbe wichtig war und in dem sich heute Burgs Kaffeemuseum befindet, gehört für mich ebenfalls dazu. Dort gibt es die Eventfläche Genuss Speicher und unten im Souterrain das Museum. Im ersten Stock ist ein alter, erhalten gebliebener Kaffeespeicher. Und der ist für mich persönlich ein Ort, an dem ich fühlen konnte, dass sehr viel Historie aus genau dieser kolonialen Epoche drinsteckt.
Dann würde ich auch das Rathaus, die Handelskammer und die Universität auf jeden Fall dazuzählen.
In der Speicherstadt gab es verschiedene alte Kaffee- und Kakaospeicher. Auch die Elbphilharmonie steht auf einem ehemaligen Kaffee- und Kakaospeicher, dem Kaispeicher A. Was genau war in dem Speicher, den Sie erwähnt haben?
Zug um Zug hat die HHLA (Hamburger Hafen und Logistik AG) die denkmalgeschützten Speicher saniert – teilweise mehr, teilweise weniger. Heute befindet sich darin, am St. Annenufer, das Kaffeemuseum Burg. Manchmal sehen die Speicher noch sehr ursprünglich aus und auch als 2004 meine ehemaligen Chefs von der Speicherstadt Kaffeerösterei ihr Mietverhältnis begannen, war der Speicher saniert. Aber ein anderer Speicherteil beim St. Annenufer, der sich weiter hinten im Gebäude befand, war hingegen nie angefasst worden. Das ist das Besondere daran: Er war noch ganz ursprünglich. Zu der Zeit habe ich bei Burg gearbeitet und wir haben uns diesen Speicher angesehen, weil bereits darüber nachgedacht wurde, ob das Kaffee-Museum dort einziehen könnte. Ich durfte mitgehen und habe die Besichtigung miterlebt.
Hier hat mal wahnsinnig viel stattgefunden und ich bemerkte diese hamburgische Sicht auf den Rohstoff Kaffee als ein bejubeltes Produkt, das hier ankommt, dessen Herkunftsbedingungen aber mit einer gewissen Ignoranz begegnet wird. Früher standen dort auch viele Verlese-Tische, an denen Frauen aus Hamburg Kaffeebohnen verlesen und sortiert haben.
Sie haben auch die Kaffeebörse erwähnt. Welche Rolle spielte sie für eine der wichtigsten Handelswaren der Welt?
Für mich ist dieser Ort sehr emotional. Wenn ich in diesem Saal stehe, habe ich einen dieser Gänsehautmomente. Hier wurden Preise verhandelt und der Verein der Kaffeehändler wickelte in der Börse seine Geschäfte ab. Dieser Börsensaal ist sehr hanseatisch und zugleich auch auf eine gewisse Weise protzig. Wenn die Sonne durch das bunte Fenster scheint, wirkt der Raum wie eine Kathedrale. Auf diesem großen Glasmosaik sind arbeitende Frauen und Männer an Kaffee-Sträuchern zu sehen, die dabei lächeln und vielleicht sogar singen. Sie pflücken, sieben und schütten die roten Kaffeekirschen auf einen Haufen. Ihre Füße sind nackt, ihr Gesichtsausdruck fröhlich.
Dieses kirchenfensterartige Bild stimmt hinten und vorne nicht. Diese romantisierte Darstellung der Plantagenarbeit und der Versklavung wird in diesem Kontext für mich besonders deutlich. Zumal es hier im Zusammenspiel mit den Kaufmännern stattfand, in deren Augen Dollar- oder D-Markzeichen funkelten.
Diese Sicht auf den Kaffee verharmlost und verherrlicht die harten und ungerechten Umstände in den Kaffee-Anbauländern. Sie verklärt sie für uns als Konsument*innen hier in Europa und in der Kaffee-Stadt Hamburg.
Sie haben Hamburg als „Kaffee-Stadt“ bezeichnet. Könnten Sie diesen Punkt bitte etwas ausführen?
Hamburg hat über verschiedene historische Epochen hinweg Handelsverbindungen mit Ländern des Globalen Südens, speziell die, die rund um den Äquator liegen, geknüpft. Diese Beziehungen, insbesondere im Kaffeehandel, wurden über viele Jahre hinweg aufgebaut und gepflegt. Die wirklich wichtigen Geschäftsbeziehungen finden allerdings hinter der offiziellen politischen Bühne statt. Das, was Hamburg als Standort für den Kaffeehandel so wichtig und attraktiv macht, geschieht nicht direkt im Rathaus oder im Rahmen politischer Beziehungen. Vielmehr sind es die Geschäftsleute, früher „Kaufleute“ genannt, die hier eine zentrale Rolle spielen.
Diese Kaufleute haben im Laufe der Zeit die Grundlage für Hamburgs Bedeutung als Kaffee-Stadt geschaffen. Diese Handelsbeziehungen konzentrierten sich auf Ostafrika, die ehemaligen deutschen Kolonien, aber auch auf Lateinamerika, wo Kaufleute zu Kaffeehändlern wurden, weil sie mit den Regierungen dieser Länder günstige Verträge abschließen oder sich in kolonialen Zeiten Ländereien aneignen konnten.
Dieses Geschäftsgeflecht von logistischer Infrastruktur, dem Hamburger Hafen, von Reedereien, Versicherungen und den Kaufleuten ist als Netzwerk geschaffen worden, um den Zugang zu Kaffee aus den relevanten Anbauregionen zu sichern. Dadurch wurde der Reichtum der Stadt und ihrer Kaufleute gesteigert – und das hat sich bis heute so fortgesetzt. Bis heute kommen große Mengen Rohkaffee nach Hamburg. Hamburg ist nach New York der zweitwichtigste Umschlaghafen in der Welt.
Das Geschäft hat sich zunehmend monopolisiert, kleinere Händler sind verschwunden. Es wird von wenigen großen Akteuren dominiert, die mit immer größeren Mengen Kaffee handeln. Heute gibt es einige wenige Händler*innen, die den gesamten europäischen Markt beliefern und damit als „Global Player“ fungieren.
Die Börsensituation ist noch einmal ein ganz eigenes Thema. Die Gewinne, die hier gemacht werden, stehen in keinem Verhältnis zu den Produktionskosten des Kaffees und dem Lohn, den die Menschen vor Ort beim Kaffeeanbau erhalten.
Sehen Sie diese Ungleichheiten bei der Kaffeeproduktion als koloniale Kontinuitäten an?
Das ist genau die Frage, die im Raum steht. Es gibt einmal die Rechnung, bei der man das Päckchen oder eine Tasse Kaffee als Referenz nimmt. Hier können wir schauen, wer was an diesem Päckchen oder eben der Tasse verdient. Der günstigste Industriekaffee kostet aktuell im Supermarkt 10 Euro das Kilo, wobei im Preis die Kaffeesteuer von festgesetzten 2,19 Prozent sowie die Mehrwertsteuer von 7 Prozent enthalten sind. Abzüglich dieser Steuern und der Berücksichtigung einer Tassenmenge von 7g steht hier unterm Strich ein Tassenpreis von 5 Cent. Bei diesen niedrigen Verbraucherpreisen ist offensichtlich, dass nicht viel bei den Produzent*innen ankommen kann. Die Aufteilung der Gewinne unter den Beteiligten ist sehr ungleich, auch wenn es natürlich länderspezifische Unterschiede gibt.
Bei der konventionellen Kaffeewirtschaft ist das Modell „Geiz ist Geil“ so aufgebaut, dass weiterhin das erste Glied in der Wertschöpfungskette, die Menschen in der Produktion, durch bestimmte Systeme der Abhängigkeitsschaffung oder der Abhängigkeitserhaltung mit einem Lohn auskommen müssen, der teilweise unter den Lebenshaltungskosten liegt. Die Plantagenarbeit wird – immer noch und konstant– viel zu niedrig entlohnt.
Was in der Kaffeewirtschaft auffällt, ist, dass anders als zum Beispiel bei Winzern in der Weinbranche oder bei anderen europäischen Produkten, von vornherein eine andere Preiskalkulation vorgenommen wird. Das heißt, der niedrige Einkaufspreis für den Kaffee deckt meist nicht die Lebenshaltungskosten der Kaffeebauern, manchmal auch nicht einmal deren Produktionskosten.
In Ihrer Kaffeestube bieten Sie Veranstaltungen zum Thema „Decolonize Coffee“ an. Was sind Ihre Ansätze, Kaffee zu dekolonisieren?
Zwischen der Arbeit der Kaffee-Pflückerin und mir als Kaffee-Konsumentin sehe ich bestimmte Mittelfaktoren, die ich in meinem Raum, bei Verkostungen, Touren und Bildungsveranstaltungen in den Fokus stelle: Das sind Zusammenhänge von Geschichte, Anbau- und Sortenvielfalt, Kaffeehandel, Röstung und Zubereitung.
Die entscheidenden Akteure verschwinden oft im Hintergrund nachdem die gesamte Arbeit geleistet wurde, wir als Konsumentinnen sind aber das letzte Glied in der Kette und bekommen den Genuss- und Wachheitsfaktor.Dabei sind es vor allem die großen deutschen Kaffeemarken, die aus einer alten kolonialen Geschichte stammen und in unseren Supermärkten zu finden sind.
Diese Unternehmen versorgen die Bevölkerung mit Kaffee und Koffein, das für viele von uns zu einem unverzichtbaren Teil des Alltags geworden ist – unser tägliches Doping sozusagen.
Die großen Global Player, die mit ihren Discountern und vielfältigen Angeboten agieren, gilt es für mich, zu hinterfragen. Sie scheuen sich oft, ihre eigene Kolonialgeschichte aufzuarbeiten. Gleichzeitig betreiben sie das Prinzip weiter, nach dem Motto „das steht uns in Europa zu“. Dabei nimmt man in Kauf, dass produzierende Menschen dauerhaft gestresst und vergiftet werden, weil sie viel zu wenig verdienen und viel zu häufig Pestiziden auf den großen Monokulturen ausgesetzt sind.Der klassische Supermarktkaffee wird meist aus Kaffee unterschiedlicher Herkunftsregionen gemixt. Mit den Geiz-ist-geil-Preisen und der entsprechenden Werbung werden wir alle geblendet. Im Gegensatz dazu möchte die Idee „Decolonize Coffee“ die Aufmerksamkeit auf kleinere Kaffeemengen aus Privatröstereien lenken. Die beziehen ihre Kaffees häufig mit einer politischen Ambition und unter anderen Bedingungen, auch zu höheren Preisen, da eine höhere Qualität erwartet wird. Für uns als Konsumentinnen bedeutet dies eine neue Erfahrung, da der Geschmack dieser Kaffees sich deutlich von dem des Industriekaffees unterscheidet.
„Decolonize Coffee“ setzt sich auch dafür ein, dass Konsumentinnen mit ihrer Entscheidung, für welchen Kaffee sie ihr Geld ausgeben, bewusster umgehen. In meiner Kaffestube konzentriere ich mich auf sortenreine Specialty-Coffees und beleuchte dabei den politischen Hintergrund. Man kann diese Spezialitäten-Kaffees zwar auch rein qualitativ betrachten und bewerten, etwa wie bekömmlich oder aromatisch er ist, doch die Herkunft der meisten Specialty-Coffees oder Garten-Kaffees ist ebenfalls politisch sehr interessant und wichtig.
Im Grunde haben wir neben dem Geschmack eine weitere Dimension in der Tasse, die auch die Themen Verantwortung und Transparenz umfasst. Da viele Menschen in Deutschland bisher hauptsächlich den klassischen Industriekaffee kennen, befinden wir uns gerade in einer Transformationsphase. Immer mehr Akteurinnen beginnen, die Philosophie von „Decolonize Coffee“ zu verstehen und andere Kaffees einzukaufen. In diesem Kontext ist es wichtig, dass wir uns zunächst einmal mit diesen neuen Perspektiven auseinandersetzen.
Darüber hinaus biete ich Stadtführungen und Verkostungen an und erkläre dabei auch die kolonialen Bezüge und Hintergründe. Ein Anliegen ist es auch, die alten, klischeehaften und häufig rassistischen Bilderwelten rund um die Kaffeeproduktion und Werbung zu hinterfragen.
Und würden Sie sagen, dass es auch wichtig wäre, den Konsum einzuschränken, also bewusster und weniger Kaffee zu konsumieren?
Ja! Einen qualitativ hochwertigen und geschmackvollen Kaffee, bei dem ich weiß, dass in der Produktionskette niemand die Arschkarte gezogen hat.