Foto: Hila Latifi
„Wichtig finde ich es, Sehgewohnheiten zu durchbrechen.“
Interview: Anke Schwarzer, 2024
Woran denken Sie, wenn es um die koloniale Geschichte und dekoloniale Gegenwart in Hamburg geht?
Wenn ich an den Kolonialismus und die koloniale Geschichte denke, fallen mir als die prägnantesten Orte das Rathaus, die Universität und der Hafen ein. Durch mein Forschungsprojekt am Altonaer Museum in 2024 kam noch der Jenischpark dazu, der eine weniger offensichtliche Verbindung zum Kolonialismus hat. Der Parkgründer Caspar Voght war ein Hamburger Kaufmann im 18. und 19. Jahrhundert und verdiente unter anderem Geld im transatlantischen kolonialen Handel. In dem Forschungsprojekt bin ich vor allem der Frage nachgegangen, inwieweit Voght auch am Versklavungshandel beteiligt war. Im Park ist also eine koloniale Geschichte eingeschrieben, auch wenn diese nicht etwa durch symbolhafte Schiffe an der Fassade wie am Rathaus oder am Gebäude der Handelskammer direkt ersichtlich ist.
Ich bin mir nicht sicher, ob es für mich so etwas wie dekoloniale Orte in Hamburg überhaupt gibt. Ich denke dabei eher an Räume, die sich von Schwarzen und People of Color-Aktivist*innen über die Jahre erkämpft und angeeignet wurden. Die Fasiathek in Altona, die 2022 eröffnet hat, ist ein Beispiel dafür. Das Afrikanische Bildungszentrum (ARCA e.V.) betreibt dort eine Präsenzbibliothek für Schwarze, afro-deutsche und afro-diasporische Perspektiven.
Welche weiteren solcher Orte gibt es in Hamburg?
Einige! Persönlich war ich zum Beispiel am Diaspora Salon Hamburg beteiligt, den Freund*innen von mir 2017 gegründet haben und der bis ungefähr 2022 lief. Wir haben temporäre Räume hergestellt, in denen wir postmigrantische und BIPoC Perspektiven in den Vordergrund stellten.
Der Diaspora Salon entstand aus der Idee, Kanakistan nach Hamburg zu holen, das Duo Tamer Düzyol und Taudy Pathmanathan aus damals Erfurt. Wir führten weitere Veranstaltungen an verschiedenen Orten durch. Die allermeisten fanden im Stadtteilzentrum Kölibri auf St. Pauli statt. Dabei gab es unterschiedliche Formate; Diskussionsveranstaltungen, Lesungen und Konzerte. Unser Credo war dabei immer: von und für Schwarze, Menschen, People of Color und Migrant*innen. Unser Fokus war es, Räume zu kreieren, die uns in der Stadt fehlten.
Und mit den Jahren sind es immer mehr Räume geworden, mittlerweile gibt es zum Beispiel Fluctoplasma als mehrtägiges Festival oder auch das Festival Formation Now! das von Lukulule ausgerichtet wurde.
Ich verstehe dekoloniale Räume, also Räume, die koloniale Strukturen aktiv durchbrechen und hinterfragen, daher als Räume des Empowerments, wenn ich das zusammenfassend beschreiben soll.
Würden Sie sagen, dass der Diaspora Salon gescheitert ist? Oder gab es irgendwelche Hürden oder Widerstände in dieser Stadt?
Ich würde nicht sagen, dass wir gescheitert sind. Aber Corona hat unsere Auflösung sicher beschleunigt. Und wir sind älter geworden. Wir waren keine Student*innen mehr, arbeiteten, hatten weniger Freizeit für Aktivismus. Da wir diese Veranstaltungen auf ehrenamtlicher Basis getragen haben, war das irgendwann nicht mehr machbar. Es fehlten einfach die Ressourcen.
Ich würde gerne noch einmal auf die kolonialen Orte zurückkommen. Sie hatten auch das Rathaus und die Handelskammer erwähnt. Könnten Sie bitte kurz ausführen, was das Koloniale daran ist?
Die Frage beim Rathaus und der Handelskammer ist eher, was daran nicht kolonial ist. Das Koloniale dort kann man sich auf verschiedenen Ebenen anschauen. Allein auf der architektonischen Ebene wird sehr sichtbar, welche Symboliken verwendet werden, welche Imaginarien aufgeworfen werden, wenn man sich die Fassade oder auch die Innenausstattung anschaut. Wir sehen zum Beispiel zahlreiche Schiffe und Hinweise auf die transatlantischen „Handelspartner“ Hamburgs, die auch immer auf die kolonialen Beziehungen der Stadt verweisen.
Und dass die Handelskammer und das Rathaus quasi in einem Ort sind, ist ja schon sehr bezeichnend. Das zeigt, dass die Wirtschaft und die Politik in Hamburg eng verbunden sind und das waren sie auch schon immer. Und letztlich geht es gerade in Hamburg bei Kolonialismus immer auch um Wirtschaftsgeschichte.
Wie bewerten Sie den Umgang der Stadt Hamburg mit der Kolonialität dieser Orte und Gebäude?
Der Umgang auf städtischer Ebene mit der kolonialen Geschichte passiert eher zögerlich. Mir ist zum Beispiel nicht bewusst, dass die koloniale Geschichte des Rathauses schon einmal explizit aufgearbeitet wurde. Immerhin, die Handelskammer hat 2018 ein Findbuch zur Kolonialgeschichte über ihre Archiv-Bestände erarbeitet, das sehr wichtig ist. Aber eine breitere Öffentlichkeit erfährt kaum etwas über die Themen – auch dann nicht, wenn Menschen beispielsweise an einer Rathausführung teilnehmen.
Wie bewerten Sie diesen Nicht-Umgang, diese Ignoranz? Was würden Sie sich stattdessen wünschen?
Statt der Ignoranz würde ich mir eine offenere Thematisierung der Kolonialgeschichte Hamburgs und Deutschlands wünschen. Diese sollte kein schamvolles Schuldeingestehen sein, sondern einfach eine rationale, abgeklärte Aufarbeitung der Geschichte. Ich finde zwar Emotionen sehr wichtig beim Thema Kolonialismus, aber ich habe das Gefühl, dass es zunächst einmal viele weiße Abwehrreflexe gibt, wenn man Kolonialismus benennt. Das zeigt sich teilweise sogar in der Wissenschaft. In meinem Forschungsprojekt zu Caspar Voght konnte ich manchmal besser mit Literatur aus den 1920er Jahren arbeiten, in denen die Autoren Stolz auf den deutschen Kolonialismus waren. Ich finde dort mehr Informationen zu meinem Forschungsthema, als in den Quellen aus zum Bespiel den 1980er Jahren, in denen Kolonialismus überhaupt nicht benannt wird. Eine kritische Auseinandersetzung mit Kolonialismus ist erst in den letzten vielleicht zehn, zwanzig Jahren wieder aufgekommen.
Kolonialismus ist ein elementarer Teil der Hamburger Geschichte, das ist ein Faktum, das nicht auf Emotionalitäten basiert. Als ersten Schritt in einer mehrheitlich weißen Öffentlichkeit würde ich mir wünschen, sich erst einmal mit den Fakten zu beschäftigen, ohne direkt in eine Abwehrhaltung zu gehen. Und in einem zweiten Schritt dann die Emotionen, die in der Auseinandersetzung damit entstehen, reflektieren.
Und wichtig wäre auch eine klarere Außenkommunikation, dass die koloniale Beteiligung nicht nur aufgearbeitet, sondern auch zugänglich gemacht wird. Aber dafür müssten die Hamburger Familien, die damals am Kolonialismus beteiligt waren, sich auch mit ihrer eigenen Familien- und Firmengeschichte auseinandersetzen.
Welche Formen von Veränderungen oder Interventionen am Gebäude oder an der Innenausstattung könnten Sie sich vorstellen?
Auf jeden Fall sollte über eine Kontextualisierung nachgedacht werden. Auch wenn es sich um komplexe Themen handelt, etwa, dass die Handelsbeziehungen keine gleichberechtigten Partnerschaften bedeuteten, sondern häufig ausbeuterische Verhältnisse waren, sollten solche Aspekte benannt und mit in die Rathausführungen aufgenommen werden.
Ich denke, dass bloße Informationstafeln nur begrenzt weiterhelfen, auch wenn das ein guter Anfang sein kann. Wichtig finde ich es, Sehgewohnheiten zu durchbrechen. Zum Beispiel wenn es ein Porträt einer herrschaftlichen Schwarzen Person gäbe oder auch ein modernes Porträt an kolonialen Orten.
Orte und Sehgewohnheiten mit visuellen künstlerischen Mitteln zu durchbrechen, haben für mich oft die stärkste Wirkung. Das kann manchmal auch ein ungewollter Nebeneffekt sein. Im Jenisch-Haus gab es zum Beispiel eine Ausstellung über Hochzeitsfotografien. Mich hat dabei sehr beeindruckt, dass dort im Treppenhaus ein großes Banner hing, auf dem ein Schwarzes Hochzeitspaar abgebildet war.
Wenn man das herrschaftliche Haus, das klassizistische und bourgeoise Ideale verkörpert, betrat, hing dort dieses wunderschöne Schwarze Hochzeitspaar im Flur. Es war nicht unbedingt eine gewollte Intervention, aber es war jedenfalls für mich eine Störung der Sehgewohnheiten, die nachwirkt. Manchmal können solche unerwarteten Bilder stärker wirken als langwierige Erklärungen.