Foto: Sonia Octavio
„Koloniale Kontinuitäten zeigen sich auch zu Hause, wenn wir Kaffee trinken.“
Interview: Anke Schwarzer, 2024
Welche Orte oder Räume in Hamburg fallen Ihnen ein, wenn Sie an die koloniale Geschichte und postkoloniale Gegenwart denken?
Im Bereich des kolonialen Erbes reden wir häufig über den öffentlichen Raum, also zum Beispiel den Hamburger Hafen, Straßen und Denkmäler, die noch Kolonialverbrecher verherrlichen. Ich denke aber auch an die Zivilgesellschaft, die im Prozess der kolonialen Aufarbeitung stärker in den Vordergrund rücken sollte. Die Stadtgesellschaft sollte im Fokus stehen, weil es hier Menschen mit unterschiedlichen Einwanderungsgeschichten gibt, insbesondere aus den ehemaligen Kolonialländern. Sie bereichern die Stadt nicht nur kulturell, sondern sie können auch durch ihre Erfahrungen den Dekolonisierungsprozess der Stadt Hamburg multiperspektivisch mitgestalten.
Könnten Sie Räume oder Initiativen benennen, in denen diese Perspektivenvielfalt eingebracht wurde oder wird?
Ich bin Fachpromotorin bei Ossara e.V. und dieser Verein hat unter anderem einen Schwarzen Vorstand, deren Mitglieder Wurzeln in Togo haben. Togo hat eine lange Kolonialgeschichte, auch was die deutschen Verbrechen angeht. Bei der Auswahl der Trägerschaft für die Fachpromotor*innen war klar, dass diese Stellen in erster Linie an einen Verein gehen sollte, der auch betroffen ist. Bei uns im Verein können wir dadurch, dass wir diese Betroffenenperspektive haben, auch leichter eine Vernetzung aufbauen.
Wir sind sehr aktiv beim Thema Anti-Schwarzen Rassismus, wo wir mit anderen Initiativen wie zum Beispiel Mosaiq zusammen an einem Forderungskatalog gearbeitet haben. Und es gibt noch viele andere Vereine, die sich hier in Hamburg mit dem kolonialen Erbe auseinandersetzen.
Welche Hindernisse oder Probleme sehen Sie dabei, sich zu vernetzen, zu organisieren, zu verändern und zu dekolonisieren? Und was würde helfen, diese Prozesse zu verbessern?
Der Hamburger Dekolonisierungsprozess wird noch immer sehr stark von der Stadt beeinflusst. Besonders, weil die Kulturbehörde das Thema für sich beansprucht. Dabei merke ich immer wieder, dass sie steuern will, in welche Richtung dekolonisiert werden soll. Es gibt leider immer noch zu wenig Vertrauen in die Zivilgesellschaft. Deren Arbeit wiederum passiert größtenteils ehrenamtlich und manchmal auch unter prekären Bedingungen. Ich würde mir wünschen, dass es gerade in dieser Hinsicht mehr Unterstützung geben würde, aber auch mehr Wertschätzung und Vertrauen. Man sollte die Zivilgesellschaft ihre Arbeit machen lassen, denn ich weiß, dass da sehr viel Wissen und Expertise vorhanden ist. Es entwickeln sich tolle Projekte, die viel Tragweite haben und ich glaube, wenn wir als Zivilgesellschaft noch enger zusammenarbeiten, könnte unsere Wirkungsmacht viel größer sein.
Sehen Sie in der Zusammenarbeit mit Behörden rund um die Dekolonisierung auch koloniale Kontinuitäten in diesem Machtgefüge?
Ja, auf jeden Fall gibt es Machtasymmetrien. Das fängt schon damit an, dass Prozesse nicht bottom-up angestoßen werden, sondern von oben herab und dass dann darüber bestimmt wird, wohin die Gelder zum Beispiel fließen und für was Gelder ausgegeben werden und für was nicht.
Aber auch was die personelle Besetzung anbelangt, zeigt sich, dass viele Perspektiven nicht richtig abgedeckt werden. In den Entscheidungsgremien sitzen immer noch viel zu wenig Black and People of Color (BPOC). Dann stellt sich die Frage, wie multiperspektivisch und vielfältig die Entscheidungen sind. Kann die vielfältige Stadtgesellschaft von diesen homogenen Gremien überhaupt vertreten werden? Darin sehe ich eine Problematik, die für die Zukunft besser gestaltet werden sollte.
Was ich mir auf jeden Fall auch wünschen würde, ist, dass die Institutionen, die versuchen sich dekolonial auszurichten, viel enger mit der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten. Bei der Forschungsstelle, die es jetzt auch gar nicht mehr lange geben wird, habe ich relativ schnell gemerkt, dass sie eine eigene Bubble ist und die Vernetzung zur Zivilgesellschaft eher sporadisch war. Ich finde, der Dekolonisierungsprozess funktioniert nur Hand in Hand mit der Zivilgesellschaft.
Wie gestaltet sich die Förderung des Promotor*innen-Programms durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ)?
Das BMZ hat klare Vorgaben, wie das Promotor*innen-Programm funktionieren soll. Ich fühle mich teilweise eingeschränkt, denn Dekolonisierung ist kritisch, auch systemkritisch und ich habe bis jetzt immer das Gefühl gehabt, dass das BMZ sich dem entzieht. Von uns wird verlangt, dass unsere Arbeit aus einer kritischen Perspektive ausgeübt werden soll, aber was unternimmt das BMZ, um sich selbst kritisch zu positionieren?
Wir bewegen uns in einem Zweispalt. Wir bekommen zwar Gelder vom BMZ und befinden uns in einer Abhängigkeit, aber wir versuchen das auch gleichzeitig als Chance zu sehen und zu schauen, wie wir unsere eigenen Akzente setzen können, so dass unsere inhaltliche Arbeit Veränderungsprozesse anstoßen kann.
Viele dekoloniale Aktivitäten in Hamburg drehen sich um den öffentlichen Raum und um die Museen. Weniger im Fokus stehen die kolonialen Kontinuitäten in der Welt, etwa in den internationalen Beziehungen oder in den ökonomischen Ungleichheiten. Wie sehen Sie das?
Dekolonisierung ist auf jeden Fall ein Querschnittsthema. Wir waren kürzlich mit dem Verein in Togo und haben dort gemerkt, dass Dekolonisierung nicht einseitig sein kann.
Wenn wir hier in Deutschland dekolonisieren und zum Beispiel über Straßenumbenennungen sprechen, dann werden die Menschen aus den ehemaligen kolonialisierten Ländern kaum einbezogen. Wir dekolonisieren unsere Lebensrealität, aber es gibt noch viele weitere Lebensrealitäten, die aufgrund unserer Lebensweise hier in Europa stark beeinträchtigt sind.
Ich finde es schade, dass es diese einseitige Schiene gibt und dass sich viel nur um das Thema Kultur dreht. Bei Ossara ist uns das auf jeden Fall bewusst und wir versuchen unter anderen mit unseren Veranstaltungen von diesem starren Kulturbereich wegzulenken und zu schauen, wo und wie uns im Alltag koloniale Kontinuitäten begegnen. Und diese finden wir nicht nur in den Museen oder öffentlichen Räumen. Sie zeigen sich auch zu Hause, wenn wir Kaffee trinken.
Wie schon erwähnt, Dekolonisierung ist ein Querschnittsthema und betrifft nicht nur die Kultur, sondern andere wichtige Bereiche in unserem Leben.