An der Bushaltestelle Schimmelmannstraße. Dekoloniale Straßenumbenennungen in Hamburg? Fehlanzeige.

Afrika in Lissabon: eine lange Geschichte von Menschen, Orten und Erinnerungen

Mehr als fünf Jahrhunderte lebten Männer und Frauen afrikanischer Herkunft, aus unterschiedlichen Kulturen stammend, in Lissabon; manche als Sklaven aus diversen Regionen Afrikas, andere sind bereits in Portugal geboren. Sie hinterließen Geschichten, Erinnerungen und Spuren ihrer Anwesenheit, hatten Anteil am Aufbau der Stadt und trugen so aktiv bei zur dynamischen Festschreibung ihrer urbanen Identität.

Isabel Castro Henriques
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Ihre Geschichte kennen und wertzuschätzen erlaubt es uns, die koloniale Vergangenheit zu überdenken und zu überwinden, die weiterhin sehr nah und sichtbar ist aufgrund vieler Spuren, die sie in Lissabon hinterlassen hat. [1]

Die Vielfalt der Erscheinungsformen afrikanischer Integration in Lissabon „Ribeirinha“ (Uferviertel Lissabons)

Es gibt viele Orte der Macht, der Religion, des Handels und des Vergnügens am Ufer des Tejo in Lissabon Es ist ein symbolischer Raum, der eindrucksvoll von der Geschichte der portugiesischen Seefahrt von Beginn des 16. Jahrhunderts an und in den folgenden Jahrhunderten geprägt ist: Wahrzeichen wie das Jerónimos-Kloster oder der Turm von Belém, oder Orte, die Handelsbeziehungen dienten, wie Häfen und Märkte; Plätze, die von den Herrschenden errichtet wurden, wie der Terreiro do Paço, um politische und ideologische Vorhaben zu legitimieren, wie es während des Estado Novo intensiv geschah. Afrikaner*innen hatten hier eine ständige Präsenz durch die vielen und unterschiedlichen Arbeiten, die sie permanent an den Flussufern der Stadt verrichteten.

„Ansicht von Jerónimos, dem Ufer von Belém und dem Torre de Belém“, 17. Jahrhundert. Gemälde von Filipe Lobo (1660). Es zeigt das gesellschaftliche Treiben vor dem Jerónimos-Komplex, wo am Brunnen die Hierarchie innerhalb der Stadtbevölkerung deutlich wird. Weiße Männer, die zu Fuß oder zu Pferd unterwegs sind, werden von schwarzen Dienern, Sklaven oder Freigelassenen begleitet, während die Frauen, allesamt weiß, Wasser abfüllen. Ganz rechts im Vordergrund sieht man eine der vielen schwarzen oder negroiden Verkäuferinnen, die überall in Lissabon unterwegs waren. Nationalmuseum für Antike Kunst, DGPC/ADF, Lissabon. Fotografie von José Pessoa.

Es sei daran erinnert, dass diese weitläufigen Gebiete am Fluss auch das erste Aufeinandertreffen einer kontinuierlichen Begegnung zwischen Portugies*innen und Afrikaner*innen bedeuteten, die als Sklaven im Rahmen des jahrhundertelangen portugiesischen Sklavenhandels hierher verbracht wurden.

Lissabon erstreckt sich entlang des Tejo. Hier befand sich das Zentrum der vielfältigen Aktivitäten, die mit der Schifffahrt, der Fischerei und dem Handel mit den verschiedensten „Waren“ verbunden waren, darunter auch seit Ende des 15. Jahrhunderts der Handel mit afrikanischen Sklavinnen und Sklaven,. Dieses Viertel, Ribeira das Naus genannt, gruppierte sich schon immer um den Cais do Sodré und umfasste auch die Werften des bedeutsamen Schiffbaus, der die portugiesische Wirtschaft mehrere Jahrhunderte lang prägte. Es war zum einen der Ort der Seeleute, der Handwerker, der Fischverkäuferinnen und der vielfältigen Arbeiter, zum anderen Ort der unterschiedlichen Ursprünge und Kulturen, in denen die Afrikanerinnen und Afrikaner, auch was die Freizeitvergnügungen anbetrifft, eine zentrale Rolle spielten.

Der Hafen von Lissabon, der die Ufer der Stadt von West nach Ost entlang des Tejo umfasst, hat sich im Laufe der Jahrhunderte aufgrund politischer Eingriffe zwar gewandelt, aber die wesentliche Bedeutung intensiver fluvialer Aktivität und ihre Beziehung zum Fluss und zur Bevölkerung Lissabons bewahrt. 

„Cais do Sodré im Jahr 1785“. Gemälde von Joaquim Marques (1775). Es zeigt neben dem regen Verkehr auf dem Fluss und den Tätigkeiten am Ufer auch die Anwesenheit eines kleinen Orchesters von Afrikanern, sowie einen der vielen Träger des Jesuskindes, der um Almosen bittet. Des Weiteren zwei schwarze Frauen, eine von ihnen mit einem „Topf“ auf dem Kopf. Nationalmuseum für antike Kunst, DGPC/ADF, Lissabon. Fotografie von Júlio Marques.

Der Terreiro do Paço, der später Praça do Comércio genannt wurde, ist das Herz der nationalen Macht. Die politische Dimension des ersten Namens verweist auf die königliche, der neue Namen auf die republikanische Macht. Beide Namen verbergen nicht die kommerzielle Bedeutung, die dieser Teil der Stadt, trotz vielfacher Veränderungen, immer geprägt hat. Diese waren mit wirtschaftlichen Konjunkturen verbunden, aber auch mit Naturkatastrophen, wie dem großen Erdbeben, das Lissabon im Jahr 1755 zerstörte. Obwohl er immer auch Ort politischer Entscheidungen ist und war,- so ist er heute Sitz verschiedener Ministerien -, so war er dennoch immer das Zentrum wirtschaftlicher Tätigkeiten. Zudem steht hier das Zollamt aus dem 16. Jahrhundert, in dem die Casa dos Escravos (Sklavenhaus) untergebracht war, wo Kauf, Verkauf und die „Bewertung“von Sklaven beaufsichtigte wurden, das später in die Casa da Índia (Haus von Indien) umquartiert wurde. Gleichfalls war der Terreiro do Paço ein Platz für Feierlichkeiten, Feste und Freizeitveranstaltungen sowie ein Ort für Demonstrationen religiöser Gewalt, wie die Autos-de-fé (öffentliche Verbrennungen von „Ungläubigen“) der Inquisition, die hier in Anwesenheit von feiernden Volksmengen abgehalten wurden.

„Der Terreiro do Paço im 17. Jahrhundert“. Gemälde von Dirk Stoop (1662). Es stellt neben den Aktivitäten am Fluss eine Vielzahl von Menschen in verschiedenen Szenen dar, volkstümlich, militärisch, spielerisch, religiös. Herren in Begleitung von Sklaven und freien Bediensteten halten sich auf dem Platz auf. Hervorzuheben ist die Anwesenheit eines vermutlich schwarzen Dieners, der einen Degen trägt: Er soll aufmerksam machen auf die soziale Wertschätzung, die Macht, den Reichtum und die Ehrenhaftigkeit der Portugiesen. Museum von Lissabon/ CML – EGEAC. Fotografie von Júlio Marques.

Verlässt man den Terreiro do Paço durch das alte Tor der Ribeira in Richtung der Kathedrale Sé Velha, die im 12. Jahrhundert auf einer alten Moschee errichtet wurde, so gelangt man zum Terreiro do Pelourinho Velho. Auf diesem Platz wurden Sklavinnen und Sklaven „in der Mitte gestapelt, einen Kreis bildend, […] die Köpfe in der Mitte […] an den Füßen gefesselt“, verkauft, so die Überlieferung eines italienischen Reisenden im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts. 

Im östlichen Teil der Stadt breiten sich die Kais aus. Es sind Orte des vielfältigen Austauschs, der Zirkulation von alten und neuen Waren, von mehr oder weniger legalen Geschäften, von noch nie gesehenen Menschen. Aber auch Orte von innovativen sozialen Beziehungen, die Ideen, Wissen, Verhaltensweisen und Werte verbreiten, die unweigerlich zu Veränderungen führen. Die Bezeichnung dieser Kais – Weizen-, Holz-, Steine-, Seifen-, Kohlen- und Kalkkai – verdeutlicht die wirtschaftliche Relevanz der Uferzonen von Lissabon mit ihren Straßen, Geschäften und Händlern, aber auch Palästen und zahlreichen Kirchen. Dies  hing zusammen mit dem wichtigsten Wasserverteilungssystem der Stadt, dem Chafariz d’El Rei, ein Ort, wo viele Afrikaner eine bedeutende Rolle bei der städtischen Wasserverteilung spielten. Gleichfalls war es ein Ort des Feierns, der Arbeit, der vielfältigen Erlebnisse, der die vielen Menschen in Lissabon zusammenführte.

Chafariz d’El Rei – Brunnen, 16. Jahrhundert. Gemälde eines unbekannten Künstlers, datiert auf etwa 1570 – 1580. Eine urbane Szene in Lissabon, in der man die Vielfältigkeit der von den Afrikanern ausgeführten Arbeiten an Land und auf dem Fluss ersehen kann; auch ein Tanzfest, an dem sie aktiv teilnehmen. Bemerkenswert ist die Anwesenheit eines schwarzen Sklaven auf der Tanzfläche, der auf dem Kopf einen Krug balanciert und durch eine Eisenkette, die einen Fuß mit einem Halsband verbindet, gefesselt ist. Ein weiteres Detail hebt eine besondere Figur hervor: ein Afrikaner zu Pferd, der den Habit des Santiago Ordens trägt. Museum der Sammlung Berardo, Lissabon. Fotografie von Júlio Marques.

Die Kais waren jahrhundertelang die Ankunftsorte der Afrikanerinnen und Afrikaner, fast immer als Sklaven, die dann dieses Gebiet bevölkerten und unterschiedlichste Arbeiten ausführten, wie kleine Handwerksarbeiten oder Handel auf den lokalen Märkten, z. B. im Campo das Cebolas. Dieser Raum bildete zudem den Ort ihrer Sozialisierung in die portugiesische Gesellschaft. 

Rossio und Largo de São Domingos: historische „Treffpunkte“ der Afrikaner*innen in Lissabon

Gestern wie heute sind der Rossio und der Largo de São Domingos die beliebtesten Treffpunkte der Menschen aus Afrika. Der Rossio war für alle – auch für die Afrikaner der Platz des Jahrmarktes, auf dem alles ge- und verkauft wurde, der Ort, an dem die Handwerker auf Kunden warteten, die Stätte von unterschiedlichen Festen, der Stierkämpfe, der Konflikte. Es gab Tavernen und das Hospital „Todos os Santos“, auf dessen Treppen sich die afrikanischen Verkäuferinnen trafen, die Autos-da-fé der Inquisition als Spektakel und Volksbelustigung. Die Praça da Figueira, direkt benachbart, zog Ausländer an, die dort große und besondere Märkte vorfanden, auf denen man nationale Produkte gegen importierte Waren tauschen konnte. Zwischen den beiden Plätzen, mit dem Rossio verbunden, lag mit dem Largo de São Domingos der Ort, an dem Männer und Frauen aus Afrika seit Ende des 15. Jahrhunderts Zuflucht und Hilfe erhalten konnten, die ihre Integration in die Lissabonner Gesellschaft erleichterte.

Der Rossio und die São Domingos Kirche in Lissabon vor dem Erdbeben von 1755. Zeichnung von Zuzarte 1757. Sie zeigt die Kirche São Domingos, in das Dominikanerkloster integriert, und den Rossio-Platz, ein Ort zahlreicher weltlicher und religiöser Feste, nicht zu vergessen die schrecklichen „autos-de-fé“, die von der Inquisition über viele Jahrhunderte hinweg durchgeführt wurden, stets unter zahlreicher afrikanischer Beteiligung. Das Bild gibt auch das durch das Erdbeben von 1755 zerstörte Krankenhaus von Todos-os-Santos wieder, wo auf der imposanten Treppe afrikanische Verkäuferinnen saßen, die sich ausruhten oder auf Kunden warteten. Archiv CTT. Fotografie von Júlio Marques.

Als Teil des Dominikanerkonvents von São Domingos öffnete die gleichnamige Kirche Ende des 15. Jahrhunderts ihre Tore für die erste Bruderschaft Unserer Lieben Frau vom Rosenkranz der Schwarzen, die in Portugal und in seinem gesamten Imperium zu einem Ort der Frömmigkeit und des sozialen Schutzes für afrikanische Sklaven und Freigelassene werden sollte. 

„Gelöbnis der Bruderschaft Unserer Lieben Frau vom Rosenkranz der Schwarzen“. Dieses auf den 2. Dezember 1565 datierte Gelöbnis ist eines der vielen Dokumente dieser Art, die das Bestreben der Kirche verdeutlichen, im ganzen Land Bruderschaften zu gründen – die Kirche von São Domingos war der Sitz der ersten Bruderschaft von „Unserer Lieben Frau vom Rosenkranz der Schwarzen“ aus dem 16. Jahrhundert. Sie ermöglichte die Teilnahme von Afrikanern an den verschiedenen religiösen Aktivitäten. Nationalbibliothek Portugal, Lissabon.

Schon sehr früh spielte die Kirche São Domingos eine zentrale Rolle beim Schutz der Afrikaner*innen in Lissabon. Im Jahr 1508 gewährte König Manuel, wie schon anderen Bruderschaften, der „Bruderschaft der Schwarzen, die sich im Kloster S. Domingos befindet“, einen finanziellen Betrag von jeder Karavelle, die aus Mina kam. Eingaben der afrikanischen Brüder bei den Behörden ermöglichten es, so wichtige Rechte wie den Zugang zum Status des städtischen Händlers für die afrikanischen freigelassenen Frauen zu erreichen oder unter bestimmten Umständen durch die Polizeibehörden die Unverletzlichkeit ihrer Wohnungen zu erlangen.

Der Platz und die Kirche São Domingos in ihrer Verbindung mit dem Rossio sind heute noch Orte, an dem sich die Afrikaner versammeln, unabhängig von Geschlecht, Alter, Herkunft, Religion oder Beruf. Wenn auch die Erinnerung an die religiöse und soziale Bedeutung dieses Ortes im Leben der Afrikaner – Sklaven wie Freigelassenen – sicherlich verloren gegangen ist, ist dieser Ort dennoch ein Symbol ihrer jahrhundertelangen Präsenz, von Generation zu Generation weitergegeben. Eine Persönlichkeit der Stadt und dieses Gebiets zwischen Rossio und dem Largo de São Domingos im 19. Jahrhundert war Pater Paulino.

Vater Paulino. Paulino José da Conceição, Vater Paulino genannt, war eine typische Persönlichkeit Lissabons, was Rafael Bordalo Pinheiro dazu veranlasste, mehrere Keramikbüsten von ihm anzufertigen, wie diese aus dem Jahr 1883, aus dem Museum Bordalo Pinheiro. – CML- EGEAC, Lissabon. Fotografie von Manuel José Costa Alves.

  • Paulino José da Conceição, genannt Vater Paulino, wurde im Jahr 1789 als Sklave in Brasilien, in Salvador da Bahia, geboren und starb 1869 in Lissabon. Als Freigelassener nahm 1832 als Soldat der liberalen Truppen bei der Landung von Mindelo teil. Er war Mitglied der Marinebrigade und wurde für seine militärische Tapferkeit ausgezeichnet. Seit 1834 in Lissabon ansässig, arbeitete er als „Permanenter Richter“ in verschiedenen Bruderschaften, die in Konflikten mit Afrikanern vermittelten und die illegale Sklaverei in Portugal anprangerten. Von Beruf Kalktüncher, bot er seine Dienste zwischen Rossio und Largo de São Domingos an. Er war sehr katholisch und nahm als Dudelsackspieler an verschiedenen öffentlichen religiösen Zeremonien teil, wie zum Beispiel an Fronleichnamsprozessionen.

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Kleine Figuren bei einer Fronleichnamsprozession. Die afrikanischen Mitbrüder nahmen in entsprechender Kleidung an den verschiedenen religiösen Zeremonien teil, die von Lissabonner Bruderschaften organisiert wurden. Diese aus Tonpaste geformten Figuren wurden zwischen 1936 und 1938 von dem Bildhauer Vasco Pereira Conceição hergestellt und von António Soares bemalt. Lissabon Museum /CML-EGEAC, Lissabon.

Er nahm auch an Stierkämpfen auf dem Campo de Sant‘ Ana teil. Eine Büste von Pater Paulino befindet sich auf dem Largo de São Domingos und ehrt diese einzigartige Persönlichkeit, die sich für die afrikanische Bevölkerung Lissabons eingesetzt hat. 

Wenn sich Afrikanerinnen und Afrikaner heute weiterhin in diesem städtischen Raum ansiedeln und ihn als ihren „Treffpunkt“ betrachten, wo sich Sprachen, Religionen und Kulturen Afrikas kreuzen, so bleibt er weiterhin ein Raum von Religiosität, den die heutigen „Astrologen“, die Nachfahren der „Zauberer“ der Vergangenheit, weiterhin bevölkern und mit Visitenkarten für ihre magischen Kräfte werben. Die Verbindung zur Praça da Figueira und zum Largo do Martim Moniz stellt die kommerzielle Bedeutung dieses Viertels heraus, das sich auf ein „afrikanisiertes“ Angebot spezialisiert hat. Es reicht von Lebensmitteln bis zu den verschiedensten Konsumgütern, von Büchern und Zeitschriften bis hin zu Schönheitsprodukten und Kleidung.

Der „Treffpunkt“ der Afrikaner im heutigen Lissabon. Der Rossio und der Largo de São Domingos mit der gleichnamigen Kirche, wo Ende des 15. Jahrhunderts die erste Bruderschaft Unserer Lieben Frau vom Rosenkranz der Schwarzen entstand, sind auch heute noch die Orte, an denen sich Afrikaner*innen unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Alter, Religion oder Beruf treffen. Wenn auch die Erinnerung an die religiöse und soziale Bedeutung dieses Ortes im Leben der Afrikaner nach und nach verloren gegangen ist, kann man dennoch festhalten, dass dieser Ort ein Symbol ihrer Präsenz darstellt, von Generation zu Generation durch die Jahrhunderte weitergegeben. Fotografie von Júlio Marques.

Mocambo-Viertel und Umgebung

Paläste, Kirchen, Klöster und Stifte, aber auch Hinterhöfe, Gemüsegärten und städtische Produktionsstätten, wie Mühlen und Öfen, Töpfereien und Steinbrüche, sowie Gasthäuser, Tavernen und die Häuser „öffentlicher“ Frauen bilden den urbanen Grundriss dieser zentral-westlichen Zone Lissabons, in der sich seit dem Ende des 15. Jahrhunderts die Wege vieler Afrikaner*innen aus diversen Kulturen ständig kreuzten. Einige dieser Häuser wurden von schwarzen „freien Frauen“ geführt, wie z. B. von „Violante Fernandes, einer Schwarzen aus Mina, die ihre eigenen Häuser hat“. 

Das Mocambo-Viertel in der Großen Ansicht von Lissabon, 18. Jahrhundert. Fragment der Grande Vista de Lisboa, einer glasierten Tonkacheltafel, die zwischen 1700 und 1725 entstand und die Stadt vor dem Erdbeben von 1755 zeigt. Es wird Gabriel del Barco zugeschrieben. Dieses Detail zeigt die Art und Weise, wie das Mocambo-Viertel in den westlichen Stadtraum von Lissabon integriert war, zwar außerhalb der Mauern, aber in der notwendigen Nähe, um die diversen Tätigkeiten in der Stadt der dort lebenden afrikanischen Bevölkerung möglich zu machen; sichtbar hier die Rauchsäulen der Töpfereien, die dort betrieben wurden. Nationales Kachelmuseum, DGPC/ADF, Lissabon. Fotografie von Ricardo Pereira (Batoto Yetu Portugal).

Zu dieser Zeit wurde der Bairro Alto gebaut, um die verschiedenen Bevölkerungsgruppen unterzubringen, die sich aus wirtschaftlichen Gründen in der Stadt niederließen. Straßen und Gassen des Bairro, wo auch heute noch das Straβengewirr der Vergangenheit zu finden ist, wie die Rua do Norte, die Rua da Rosa oder die Rua das Gáveas, wo „Bárbara Fernandes, eine schwarze Frau, [wohnte und vermietete] in ihren Häusern im Wert von 20.000 Réis“, oder die Rua da Atalaia. Diese Straβen waren bereits im 16. Jahrhundert Orte des Tauschens von allem und jedem, vieler Berufe und Tätigkeiten, wo sich Schreiner, Maurer und Wäscherinnen niederließen.

Der Bairro Alto, der Largo de Camões und der benachbarte Chiado waren Viertel intensiver wirtschaftlicher und kommerzieller Aktivität, aber auch zugleich Orte des sozialen und religiösen Lebens, an denen Afrikaner*innen immer ihren Platz hatten. Die Kirchen spielten eine zentrale Rolle bei den zahlreichen, hier stattfindenden religiösen Festen, die von der afrikanischer Musik und afrikanischen Tänzen geprägt waren.

Auf dem Weg zur Porta de Santa Catarina, vorbei an der gleichnamigen Kirche, steht das Cruz de Pau, der Ort, an dem die Sklaven bestraft wurden. Hier beginnt die Rua do Poço dos Negros und hier befindet sich auch die gleichnamige Travessa. Manuel I. ordnete den Bau des „Poço dos Negros“ an (es gibt andere Erklärungen zu diesem Bauwerk, nach  denen es sich um einen Brunnen für die schwarz gekleideten Ordensleute in der Gegend handeln soll), damit „die Sklaven, die in dieser Stadt sterben […], aufgedeckt werden […]“.Es ist daher verständlich, dass man begann, Räume für die immer zahlreicher werdenden Afrikaner*innen zu schaffen, der sich in außerhalb Lissabons, aber in Stadtnähe befand.

Travessa do Poço dos Negros. Senkrecht zur Straße Rua do Poço dos Negros befand sich in dieser Gasse ein Brunnen, dem die Geschichte zwei mögliche Ursprünge zuschreibt: der Brunnen der Schwarzen, den Manuel I. per königlicher Urkunde von 1515 errichten ließ, um die verstorbenen schwarzen Sklaven dorthin zu bringen. Oder der Brunnen mit klarem Wasser, der von den „Negros“ errichtet wurde, d. h. den schwarz gekleideten Priestern, die in diesem Teil der Stadt ansässig waren. Sicher ist jedoch, dass der König zu diesem Zweck den Bau eines Brunnens im westlichen Teil der Stadt anordnete, um zu verhindern, dass die Leichen der Sklaven von der Höhe von Santa Catarina geworfen wurden, wo sie offen lagen und in der Stadt schädliche Zustände verursachten. Fotografie von Carlos Duarte (Batoto Yetu Portugal).

Der Stadtteil Mocambo, der durch eine königliche Urkunde von 1593 und durch eine weitere von 1605 begründet war, war „der zweite von sechs Stadtteilen, in die Lissabon gegliedert war, und umfasste damals die Gemeinden Santos-o-Velho, Santa Catarina, S. Paulo, N. Sª. do Loreto und Chagas“. Später, in einer weiteren königlichen Urkunde vom 25. März 1742, werden die „zwölf Stadtteile“ der Stadt Lissabon aufgeführt, von denen der zwölfte als „Bairro do Mocambo“ bezeichnet wird und die „Freguesias von Santos und Nossa Senhora da Ajuda mit den Orten Alcântara und Belém“ sowie die „Gerichtsbarkeiten von Barcarena, Algés und Oeiras“ einschlieβt. Es ist erwähnenswert, dass dieser westliche Teil der Stadt seit dem Ende des 16. Jahrhunderts von wohlhabenden Offizieren, die in Afrika und Indien gedient hatten, als Wohngegend sehr begehrt war. Neben Herrenhäusern und Klöstern kam nun auch Mocambo, die Siedlung der Afrikaner hinzu, wo die von der wohlhabenden Bevölkerung dieser Gegend gesuchten Hausangestellten wohnten.

Mocambo ist ein einzigartiger Name für ein afrikanisches Viertel, wahrscheinlich einzigartig in Europa, da hier ein Begriff mit afrikanischer Wurzeln verwendet wird. Im Angolanischen bedeutet Umbundo „kleines Dorf, Zufluchtsort“, ebenso wie der synonyme Begriff quilombo in der Quimbundo-Sprache, die ebenfalls zum angolanischen Sprachraum gehört.

Wenn dieser Name Mocambo auf der Vorstellung von der Existenz entflohener Schwarzer Bezug nimmt, die sich in einem von ihren Besitzern nicht kontrollierten Gebiet niederlassen, dort ihre Behausungen errichten und die Freiheit erlangen, so war der Mocambo von Lissabon nun offiziell eingegliedert in das Stadtgebiet.

Nach Raphael Bluteau (1716) bedeutete dieser Begriff „früher (…) eine Vielzahl von kleinen Häusern von Fischern und Schwarzen“, die man „in Brasilien Dörfer einiger Schwarzer nennt, die in Hütten verteilt sind, mocambos genannt.Der Name unterstreicht die deutliche Zunahme der afrikanischen Bevölkerung in der Hauptstadt und damit die Notwendigkeit, einen Raum für ihre Ansiedlung zu schaffen. Das am Stadtrand von Lissabon gelegene Mocambo-Viertel muss als ein Stadtteil betrachtet werden, der gleichzeitig von Afrikaner*inne, hauptsächlich Freien oder Freigelassenen und von portugiesischen Behörden geschaffen wurde. Die Behörden genehmigten ihn, da sie dadurch die Stadt, was die Bevölkerungsdichte anging, entlasten konnten. Die afrikanischen Bevölkerungsgruppen wiederum suchten dort nach einer Autonomie, die es ihnen ermöglichte, ihre afrikanische Kultur weiter zu leben und respektvoll zu bewahren, und das nicht unter den kritischen und abschätzigen Blicken der Portugiesen.

Das Studium portugiesischer oder ausländischer Quellen, einiger plastischer Werke oder anderer ikonografischer Dokumente belegt das Kommen und Gehen dieser afrikanischen Männer und Frauen, Sklav*innen und Freie, die als Hausbedienstete in portugiesischen Familien oder in der Stadt tätig waren und die die unterschiedlichsten städtischen Arbeiten erledigten. Hervorzuheben sind die wichtigen  Aufgaben für die Hygiene und die Instandhaltung des öffentlichen Raums, wie Straßenkehrer, Kalkstreicher, Toilettenreinigerinnen, Wasserträger, aber auch die Versorgung der Lissabonner Bevölkerung mit Waren, eine Arbeit, die vor allem von Frauen wahrgenommen wurde: der Straßen- und Haustürhandel lieferte Lebensmittel, landwirtschaftliche Produkte, Konsumgüter wie Holzkohle und Fisch, die von Händlerinnen verkauft wurden, die Lissabon von einem Ende zum anderen durchzogen.

Neben den Tätigkeiten, die mit dem Meer verbunden sind, von der Seefahrt über den Schiffbau bis hin zum Fischfang, kann man daneben viele andere Arbeiten nennen, die von Afrikanern übernommen wurden. Arbeit an den Schmiedeöfen, die in der Stadt und ihrer Umgebung standen, Töpfereien, die sich am Rande des Mocambo-Viertels befanden, aber auch Eisenbearbeitung, Leder- und Holzarbeiten, Webereien und viele andere Betätigungen, die in der Stadt ausgeübt wurden.

Afrikanische Männer und Frauen beim Fischen im Fluss. Darstellung einer Szene beim Fischen, eine Tätigkeit, die bei der afrikanischen Bevölkerung von Mocambo alltäglich war, da diese Arbeit in ihrem täglichen Leben eine bedeutende Rolle spielte; sowohl für das eigene Überleben als auch für den ausgeprägten Straßenhandel mit Fisch, der von Frauen betrieben wurde. Kacheln aus dem 16. Jahrhundert, Fronteira-Palast, Fundação das Casas de Fronteira e Alorna, Lisboa. 

Seit dem 17. Jahrhundert erlebte Mocambo eine zunehmende Ansiedlung der portugiesisch-stämmigen Bevölkerung, die mit Tätigkeiten auf dem Meer verbunden war. Nach und nach verließ die Bevölkerung afrikanischer Herkunft diesen städtischen Raum, insbesondere nach dem Erdbeben von 1755 sowie infolge der Dekrete vom Minister Pombal, die die Einfuhr von Sklavinnen und Sklaven verboten (1761), und die die Sklaverei in Portugal (begrenzt) abschaffte (1773). Mitte des 19. Jahrhunderts veränderte sich die soziale Situation des Stadtteils weiter und der alte Name, der nur noch eine Straße bezeichnete, verschwand nicht nur aus der Toponymie, wie die kartografischen Dokumente des 19. Jahrhunderts belegen, sondern auch aus dem Gedächtnis der Lissabonner des 20. Jahrhunderts. 

Vom Bairro (Stadtteil) zur Rua do Mocambo im 19. Jahrhundert. Ausschnitt einer Karte deutschen Ursprungs von 1844, die die vollständige Ansicht der dort verlaufenden Rua das Trinas do Mocambo zeigt. Hier erstreckte sich früher das Trinas-Kloster, die heutige Rua das Trinas.  Die Reduzierung des Viertels zu einer Straße und sein endgültiges Verschwinden im 19. Jahrhundert kennzeichnen den Verlust seiner städtischen Bedeutung. Stich von Joseph Mayer. Kartensammlung David Rumsey, USA. Nationalbibliothek Portugal, Lissabon.

Vom kolonialen Lissabon zum Lissabon der Freiheit (19. – 21. Jahrhundert)

Das Lissabon der Moderne, das nach dem Erdbeben von 1755 und dem pombalinischen Wiederaufbau entsteht, offenbart sein städtisches Gefüge in den Denkmälern, in den Wohngebäuden und in dem komplizierten historischen Auf und Ab, das das 19. und 20. kennzeichnete.

Statue des Marquês de Sá da Bandeira. Diese Statue von Giovanni Ciniselli auf der Praça D. Luís I. in Lissabon erinnert an die abolitionistischen Maßnahmen von Sá da Bandeira, die zum Ende des Sklavenhandels (1836) und darüber hinaus zum Ende der Sklaverei im Jahr 1869 führten. Zu Füßen des Marquês befindet sich eine weibliche Figur, deren Modell (nach ihren Angaben) Fernanda do Valle war, ein Pseudonym von Andreza do Nascimento Pina, auch bekannt unter dem abschätzigen Namen Preta Fernanda. Sie war Schriftstellerin, Stierkämpferin und eine herausragende Figur der Bohème der Stadt im 19. Jahrhundert.  Mit einem Kind auf dem Schoß und einer zerbrochene Eisenfessel am Knöchel symbolisiert sie eine Zukunft in Freiheit. Fotografie von Júlio Marques.

Das letzte Viertel des 18. Jahrhunderts erlangte durch das Verbot des Sklavenimports nach Portugal (1761) Bedeutung, was verhindern sollte, dass Sklaven aus Brasilien abgezogen wurden, wo sie für die wirtschaftliche Entwicklung unentbehrlich waren. Diese Zeit war ebenfalls geprägt durch eine partielle Abschaffung der Sklaverei in Portugal (1773) – beides Maßnahmen des Marquês von Pombal. Im 19. Jahrhundert kam es zu weiteren Eingriffen durch den Marquês de Sá da Bandeira durch Dekrete, verfasst und in Kraft getreten zwischen 1836 und 1869. Erstes Ziel dieser Dekrete war die Einstellung des Handels mit Schwarzen, danach die Abschaffung der Sklaverei in allen portugiesischen Gebieten.

Aber in der portugiesischen Gesellschaft, in der das Gesetz den Afrikaner*innen, die theoretisch Portugiesen waren, den Status der Freiheit zuerkannte, erschwerten Vorurteile über Afrikaner*innen als „von Natur aus versklavte Wesen“, eine Änderung ihrer gesellschaftlichen Stellung. Diese Abwertung wurde vor allem in den letzten dreißig Jahren des 19. Jahrhunderts in Folge neuer theoretisch-ideologischer und politisch-militärischer Sichtweisen verstärkt, die die Beziehungen zu Afrika prägten und die koloniale Herrschaft des 20. Jahrhunderts vorbereiteten.

Oliveira Martins, portugiesischer Denker und Intellektueller, der die europäischen wissenschaftlichen Strömungen verfolgte, machte es sich 1880 zur Aufgabe, „die angeborene Minderwertigkeit der Schwarzen“ und die „Absurdität ihrer Erziehung“ wissenschaftlich zu belegen. Dabei stützte er sich auf damalige „wissenschaftliche Erkenntnisse“.

Die militärische Besetzung riesiger Territorien Afrikas ab Ende des 19. Jahrhunderts in einem komplexen europäischen Rahmen, zu deren Aushängeschild die Berliner Konferenz (1884/1885) wurde, prägte nicht nur die politischen Entscheidungen Portugals, sondern bestimmte auch die Beziehungen zwischen Portugal und Afrika. Dies führte zur Verfestigung einer kolonialen Situation, die die Afrikaner*innen ihrer jahrhundertealten Autonomie und Hegemonie beraubte.

Auch wenn nach Ausrufung der Republik (1910) die Kolonialpolitik einer Revision unterzogen wurde, – diese allerdings erst unter dem Druck einer vehementen Kritik europäischer Wirtschaftskreise an der Gesetzgebung zur „indigenen Arbeit“ -, war es später vor allem der Estado Novo, der die koloniale Ideologie von Neuem belebte. Diese Ideologie berief sich auf die „historischen Rechte“ Portugals in Afrika und auf die „Einzigartigkeit der Beziehung der Portugiesen zu den Anderen, die nicht den Makel des Rassismus“ trug. Zudem stützte sie sich auf die „zivilisatorische Mission“, die darauf abzielte, die „Wildheit“ der Afrikaner zu beseitigen. Diese Überzeugungen lieferten Rechtfertigungen für die koloniale Gewalt. Zwar wurden in der Folge einige neue Begrifflichkeiten eingeführt, aber die wesentlichen Ideen, Mythen und Darstellungen blieben während des größten Teils des 20. Jahrhunderts bestehen, prägten die portugiesische Gesellschaft und führten zu einer „imperialen“ Neuordnung der städtischen Räume Lissabons.

Für die Ausstellung der Portugiesischen Welt von 1940 wurde der Stadtteil Belém großartig umgestaltet: Zum Torre de Belém und zum Jerónimos-Kloster wurden das Denkmal für die portugiesischen Entdeckungen, der Platz des Imperiums mit seinen Gärten, das Museum für Volkskunst und der Kolonialgarten neu errichtet und bildeten mit damit die wichtigsten Veränderungen in diesem Stadtraum von Lissabon.

Um den Portugiesen das Imperium zu „präsentieren“, organisierte der Estado Novo verschiedene patriotische Veranstaltungen: Kolloquien, Veröffentlichungen, Literaturpreise, Schulwettbewerbe, Paraden und Gedenkfeiern, Ausstellungen für Erwachsene und Jugendliche. Das alles sollte die öffentliche Meinung für das koloniale Projekt mobilisieren, das dem afrikanischen Kontinent „die Zivilisation schenkte“ und damit die Groβartigkeit der Nation zum Ausdruck brachte. 

Plakat der Ausstellung „Portugiesische Welt“ von 1940. Der Estado Novo lud die Portugiesen ein, sich die Gesamtheit der Kolonien anzusehen, einschließlich „lebender Beispiele“ aus den Bevölkerungen, die wie exotische Tiere in einem Zoo präsentiert wurden. Hierzu bereitete er zwei große Ausstellungen vor: die erste 1934 in Porto unter dem Titel Portugiesische Kolonialausstellung und die zweite 1940 in Lissabon unter der Überschrift Ausstellung der Portugiesischen Welt. Ziel war es einerseits, das Exotische der Völker und ihrer Natur zu zeigen, was die afrikanische Wildheit wie auch ihre kulturelle Minderwertigkeit bloßstellen sollte; andererseits wurden die zivilisatorischen Anstrengungen der Portugiesen hervorgehoben, ihre heroischen Taten gewürdigt und eine glorreiche Vision des Imperiums vermittelt. Nationalbibliothek Portugal, Lissabon.  

Die Höhepunkte bildeten die großen Ausstellungen wie die Kolonialausstellung in Porto (1934) und die Ausstellung der portugiesischen Welt, in Lissabon (1940), bei denen afrikanische Miniaturdörfer in landschaftlich gestalteten Räumen errichtet und von Männern, Frauen und Kindern bewohnt wurden. Diese waren aus Afrika herbeigeschafft und unter so schlechten Bedingungen untergebracht worden, dass „sie wie Drosseln an einer Lungenentzündung starben“ (Óscar Lopes, 2007).

Die portugiesische Bevölkerung konnte so in direkten Kontakt mit den Afrikaner*innen treten, die Exotik dieser „Neuheiten bewundern“, ihr Verhalten, ihre Einstellungen und ihre „primitiven Bräuche“ beobachten, was die portugiesischen Zivilisationsbemühungen legitimieren sollte. Viele andere Maßnahmen, die das „Wilde entlarven“ und die Afrikaner lächerlich machen sollten, trugen dazu bei, das Bild ihrer „wissenschaftlich belegten rassischen, kulturellen und sozialen Minderwertigkeit“ zu festigen. 

Belém und der Kolonialgarten in Lissabon bildeten die Bühne für diese überschwängliche Darstellung des Imperiums. Doch auch in anderen Bereichen der Stadt gab es architektonische Entwicklungen, die die Wirklichkeit des Kolonialismus und die imperiale Idee des Estado Novo hervorheben sollten. Die großen Alleen im nördlichen Teil der Stadt, die protzigen Häuser der „Africanistas“, die mit Kakao aus São Tomé bezahlt wurden (umgangssprachlich bedeutete Kakao Geld) und der Bairro das Colónias, ein modernistisches Viertel, das in den 1930er Jahren an einem der Hänge des Graça-Hügels auf dem Gelände einer ehemaligen Quinta errichtet wurde. All diese städtischen Neuerungen, im zwanzigsten Jahrhundert unter Salazar forciert, sollten die Portugiesen an ihr Reich „vom Minho bis Timor“ erinnern.

Die verschiedenen Formen der Abwertung fanden in Portugal ihren Ausdruck in Texten und geschmacklosen Bildern. In Zeitungen, Comics und Werbung gab es eine umfangreiche ikonographische Produktion, die sich an alle Portugies*innen, Kinder, Jugendliche und Erwachsene richtete.

Die portugiesische Bevölkerung, bereits seit Jahrhunderten vertraut mit Afrikaner*innen und einer Vielzahl von Vorurteilen, wurde nun mit einer neuen Sichtweise dieser „anderen Männer und Frauen“ konfrontiert, wobei die Verstärkung des Negativen durch die politische Macht und die zeitgenössische Wissenschaft legitimiert wurden.

Die neuen Bevölkerungsgruppen provozierten, weil sie sich oft niederließen, ohne die Regeln der Urbanität zu beachten. Lissabon wuchs etwas ungeordnet, farbenfroh und mit einer Mischung von Menschen und Kulturen, die sich in den städtischen Raum und seine Peripherien integrierten. 

Alltag, der portugiesische und afrikanische soziale und kulturelle Praktiken verbindet. In den heutigen Lissabonner Stadtvierteln, in denen viele Afrikaner*innen oder Portugiesen afrikanischer Herkunft noch immer in prekären Verhältnissen leben, organisiert die Bevölkerung ihre Freizeitaktivitäten wie in der Vergangenheit; wobei Musik und Tanz im Vordergrund stehen mit Rhythmen, in denen sich Afrika mit anderen kulturellen Ausdrucksweisen der Welt mischt. Fotografie von Joost de Raeymaeker.

Das demokratische Portugal öffnete der Vielkulturalität die Türen: Während alte afrikanische kulturelle Ausdrucksweisen aktiv blieben, gelangten neue Einflüsse aus Afrika ins Land, entweder durch die portugiesischen Rückkehrer oder durch afrikanische Gemeinschaften, die sich hier niederließen, ihre Formen des Alltagslebens beibehielten oder diese anpassten. Viele „Afrikas“ kreuzten sich in Portugal, was zu Innovationen in der Kultur insgesamt führte, von afrikanischer Kreativität geprägt. 

Der heutige Alltag offenbart Veränderungen und Kontinuitäten, Neuerungen und Wandlungen in den verschiedenen Bereichen des menschlichen Lebens. Doch einige Vorurteile und Stereotypen prägen nach wie vor den portugiesischen Blick auf Afrikaner*innen und Afroportugies*innen, und zahlreiche diskriminierende Attitüden sind weiterhin alltäglich. 

Ferner sind die neuen Gesetzmäßigkeiten der Globalisierung und die Einwanderung von Tausenden von Afrikanerinnen und Afrikanern, die in Europa und in Portugal einen Platz zum Überleben suchen, Zeichen eines Wandels, der sich langsam vollzieht, sei es im Bereich der Arbeit und des Wohnens, sei es aber auch in der Schwierigkeit der Portugies*innen, die Afrikastämmigen als die portugiesischen Bürger zu betrachten, die sie sind.

Das Lissabon des 21. Jahrhunderts besinnt sich langsam auf seine afrikanische Geschichte, was die Entkolonialisierung der Stadt ermöglicht, und beginnt, aus dem Schweigen der jüngsten Vergangenheit herauszutreten und die lange Präsenz und Beteiligung von Afrikaner*innen an der Organisation der Stadt anzuerkennen. Hilfreich ist dabei eine Vervielfältigung von Projekten und Aktionen zur Verankerung der afrikanischen Erinnerung und die Aufwertung einer Dynamik, die ein säkulares und vielkulturelles Lissabon geschaffen hat.

Oktober 2021

Übersetzung ins Deutsche: Georg Franzky Cabral

  • [1] Dieser kurze Text, der den Inhalt meines kürzlich erschienenen Buches Roteiro Histórico de uma Lisboa Africana – séculos XV-XX, (Lissabon, Edições Colibri, 2021) widerspiegelt, soll in zusammengefasster Form über eine konstante und kontinuierliche Migration afrikanischer Bevölkerungsgruppen berichten, die sich bis zum 19. Jahrhundert „gewaltsam“ durch die Sklaverei, dann „gewaltsam“ durch den Kolonialismus vom Ende des 19. Jahrhunderts bis 1974 und durch die Globalisierung unserer Tage in der Stadt Lissabon niederließen.

    Alle Bilder stammen aus den folgenden Büchern:

    1. Isabel Castro Henriques: Die afrikanische Erbschaft in Portugal – XV-XX Jahrhundert, Lissabon, CTT – Correios de Portugal, 2009.

    2. Isabel Castro Henriques: Historischer Führer eines afrikanischen Lissabons (XV-XXI Jahrhundert), Lissabon, Colibri, 2021.